Metall- und Elektroindustrie: „Von Ungerechtigkeit kann keine Rede sein“

Interview mit Heinz Lison und Wolfgang Schmitz zur aktuellen Tarifrunde

Die Zeichen stehen auf Sturm: Acht Prozent mehr will die IG Metall in der anstehenden Tarifrunde in der M+E-Industrie verlangen und kündigt sogleich Warnstreiks an. Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser kontert: „Die haben nicht alle Tassen im Schrank!“ [unternehmen!] sprach mit dem Vorstandsvorsitzenden des Unternehmerverbandes der Metallindustrie Ruhr-Niederrhein, Heinz Lison, und mit Wolfgang Schmitz, dem Hauptgeschäftsführer des UVM, der zu den stärksten Metall-Verbänden in NRW gehört.

[unternehmen!]: Die IG Metall kündigt seit Monaten eine Forderung zwischen sieben und acht Prozent an. Hat Sie die endgültige Forderung überhaupt noch überrascht?

Heinz Lison: „Beim Zustand der Gewerkschaft mit ihrem ständigen Aderlass an Mitgliedern ist es einerseits nicht verwunderlich, dass sie die große Trommel zu Streite rührt. Anderseits ist es für mich völlig unverständlich, dass die IG Metall den begonnenen Abschwung und die Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise so beharrlich ignoriert. Man hat das Gefühl, die Herrschaften sitzen in einem Elfenbeinturm und sind bereit, der deutschen Wirtschaft schwersten Schaden zuzufügen – Hauptsache, die eigene Kasse stimmt. Dabei ist diese Haltung natürlich völlig kurzsichtig: Wenn die Metall- und Elektroindustrie als Herz der deutschen Industrie mit ihren 3,6 Millionen Beschäftigten ins Stolpern gerät, kostet das Arbeitsplätze und Mitglieder zugleich.“ 

[unternehmen!]: Wie ernst ist die Gefahr, dass der Boom der vergangenen drei Jahre zu Ende geht?

Wolfgang Schmitz: „Es gibt keinen Zweifel mehr daran, dass die Kurve wieder abwärts zeigt. Im Augenblick arbeiten die meisten Unternehmen noch die vollen Auftragsbücher ab. Ich will die Situation nicht unnötig schlecht reden. Aber sie ist heute eine völlig andere als noch im Frühjahr, als die Gewerkschaftsforderung vermutlich geboren wurde. Im vergangenen August ist die Industrie zum ersten Mal seit drei Jahren geschrumpft und die Betriebe drosselten ihre Produktion so stark wie seit mehr als fünf Jahren nicht mehr. Erstmals seit September 2005 wurden auch wieder in einigen Bereichen Stellen abgebaut, in anderen ist die Zurückhaltung bei Neueinstellungen spürbar. Und seit 2002 hat die deutsche Industrie noch nie so schlechte Auftragseingänge – vor allem aus dem Ausland - verzeichnet wie aktuell. Das trifft insbesondere den Maschinen- und Anlagenbau, die elektrischen und elektronischen Erzeugnisse und die Metallerzeugnisse. Übrigens europaweit.“

Heinz Lison: „Und wenn ich hierzu bemerken darf: Die Metall- und Elektroindustrie hat innerhalb von zwei Jahren eine Viertelmillion neuer Arbeitsplätze geschaffen. Dazu kommen noch einmal 60.000 neue Stellen für weniger anspruchsvolle Tätigkeiten in Zeitarbeitsunternehmen rund um die Industrie. Damit hat sie den stärksten Anteil am Abbau der Massenarbeitslosigkeit gehabt. Wer das in Gefahr bringen will, muss den Arbeitslosen gleichzeitig sagen: Tut mir leid, aber für eure Situation haben wir nichts übrig. Wie sich das mit dem politischen Anspruch der IG Metall vereinbaren lässt, muss mir erst mal jemand erklären.“

[unternehmen!]: Die Gewerkschaft verspricht einen „heißen Herbst“. Eine Friedenspflicht gibt es nicht und Warnstreiks sind bereits angekündigt. Was sagen die Arbeitgeber zu dieser Drohung?

Heinz Lison: „Die Warnstreiks sind mittlerweile zum Hauptkampfmittel der Gewerkschaften geworden. Das ist eine bedauerliche und gefährliche Entwicklung. Es wird ja lange vor Beginn der eigentlichen Verhandlungen drauflosgestreikt. Ich habe kürzlich schon gesagt, das ist wie in einer Beziehung zwischen zwei Partnern – und wir sind ja schließlich Sozialpartner – die vereinbart haben, ein Problem auf eine beide Seiten zufrieden stellende Weise zu klären. Und nun zerschlägt einer der beiden tagtäglich wütend das gemeinsame Mobiliar. Wir brauchen die Drohgebärden der IG Metall so nötig wie einen Kropf. Wir sind ja nicht schwerhörig und nehmen die offensichtliche Sturheit der Gewerkschaft so ernst wie nötig. Mein Appell lautet daher – und das richtet sich auch an die Belegschaften – nicht auch noch durch Störungen der laufenden Produktion den mehr als nur wahrscheinlichen Abschwung noch zu beschleunigen.“

[unternehmen!]: Wie wichtig wird es in den Tarifverhandlungen, eine Differenzierung der Tariferhöhung je nach wirtschaftlicher Lage des Betriebes durchzusetzen?

Wolfgang Schmitz: „Die Metall- und Elektroindustrie besteht ja aus vielen Branchen. Und die wirtschaftlichen Verhältnisse sind nicht nur darin unterschiedlich. In der letzten Tarifrunde war beispielsweise die Automobilindustrie am ehesten in der Lage, die starken Entgelterhöhungen zu verkraften. Aber jetzt beginnt es auch dort zu kriseln, die Absatzzahlen für Kraftfahrzeuge brechen dramatisch ein. Was die anderen Branchen angeht, so stellen wir seit mehreren Jahren in unseren Umfragen in unschöner Regelmäßigkeit fest, dass etwa jeder fünfte M+E-Betrieb eher schlecht als recht über die Runden kommt. Und wenn wir uns die Umsatzerlöse ansehen – also was die Gewinne angeht und daher auch die für den Innovationsdruck erforderlichen Investitionsmittel – so schrumpfen sie in vielen Unternehmen seit etwa 12 Monaten. Fast 40 % unserer Mitgliedsunternehmen klagen inzwischen über unzureichende Umsatzerlöse. Das hat mehrere Gründe. Zum einen sind neben den Lohnkosten die Energie- und Rohstoffkosten immens gestiegen. Zum anderen ist es im harten Wettbewerb auf den Weltmärkten nicht mehr möglich, diesen Kostenzuwachs an die Kunden weiterzureichen. Um das genauer zu sagen: Die Erzeugerpreise sind gerade einmal um 0,6 Prozent gestiegen! Die Folge ist, dass die Margen immer kleiner geworden sind. Ohne tiefgreifende Differenzierungsmöglichkeiten werden also viele Betriebe stark anwachsende Lohnkosten nicht ohne Einschnitte verkraften.“

[unternehmen!]: Die Gewerkschaft fordert in dieser Tarifrunde einen „Gerechtigkeitsbonus“. Was sollen wir darunter verstehen? 

Heinz Lison: „Da müssen Sie die Leute fragen, die sich das haben einfallen lassen. Ich möchte mal wissen, was wir in den letzten Jahrzehnten in den Tarifrunden versäumt haben: Es ging doch immer um die gerechte Verteilung der Erfolge auf Arbeitgeber und auf Arbeitnehmer, oder? Hier setzt die IG Metall auf das Pferd eines weit verbreiteten Zorns, der sich an hohen Managergehältern, Steuerflucht und ähnlichem entzündet hat. Als ob mich das nicht genau so ärgern würde! Bisher hat die IG Metall ja stets mit einer Lohnformel gerechnet aus der realen Produktivitätsentwicklung und der Preissteigerungsrate. Wir gingen zwar mit unterschiedlichen Kerndaten in die Diskussion, aber haben uns noch stets in der Mitte gefunden. Diese Mitte will die Gewerkschaft nun nach oben verschieben und dafür eine diffuse Gefühlslage ausnutzen, in der viele sagen: Wir bekommen nicht genug vom Kuchen ab. Die Frage ist allerdings, warum die Unternehmen für Versäumnisse einer festgefahrenen Politik haftbar gemacht werden sollen. Denn der Staat greift allen Berufstätigen immer tiefer in die Taschen. Wir wollen ja, dass die Arbeitnehmer mehr Netto vom Brutto behalten können. Aber die Metall- und Elektroindustrie ist garantiert nicht verantwortlich für diese Problematik. Im Gegenteil: Die deutschen M+E-Beschäftigten sind mit fast 44.000 Euro pro Jahr die bestbezahlten in der ganzen Welt. Die Entgelte im verarbeitenden Gewerbe lagen 2007 um sage und schreibe 18 Prozent höher als 2000! Und in den letzten drei Jahren sind im Metall- und Elektrobereich die Erhöhungen zwei- bis drei Mal so hoch gewesen wie im Durchschnitt der deutschen Arbeitnehmer. Von daher sind wir die Letzten, bei denen von Ungerechtigkeit die Rede sein könnte.“

Wolfgang Schmitz: „Es ist ja nicht so, dass wir der Gewerkschaft vorzuwerfen haben, sie habe immer schon in der Vergangenheit den Bogen überspannt. Dass die deutsche Metall- und Elektroindustrie auch weiterhin Anschluss an die Weltkonjunktur hält, setzt allerdings einen gewissen Realitätssinn und Verantwortungsbewusstsein der IG Metall voraus. Damit scheint jetzt aber Schluss zu sein“.

[unternehmen!]: Also hat die Mehrheit der Metall- und Elektrounternehmen in den vergangenen zwei Jahren gute Zahlen geschrieben...

Heinz Lison: „... und, wie bereits gesagt, in reichlichem Maße die Arbeitnehmer an den Erfolgen beteiligt. Wenn ich das mal grundsätzlich bemerken darf: Ein ausgehandelter Tarif ist ja so etwas wie ein Scheck auf die Zukunft, der unerbittlich eingelöst werden muss. Auf was immer wir uns einigen, muss ja erst einmal 2009 verdient werden! Und alles deutet auf ein Nullwachstum der Branche hin! Wenn wir uns in den Strukturen des letzten Tarifabschlusses bewegen können, und zwar unter Einschluss eines Konjunkturbonus, der sich an den Tatsachen der wirtschaftlichen Entwicklung orientiert – und dann eben entfallen muss, wenn der erwartete Abschwung eintritt – wäre das über die Fläche gesehen zu verkraften. Alles andere ist etwas für Hazardeure – und das sind Unternehmer nun mal nicht. Hinzu kommt: 60 Prozent der Metall- und Elektrounternehmen – daran sieht man auch, dass es nicht allen gut geht - schütten bisher zusätzlich Prämien an ihre Mitarbeiter aus, um sie an den Erfolgen zu beteiligen. Wenn die Gewerkschaft unbedingt will, dass diese Anreize für Leistung wegfallen: Nur zu!“

[unternehmen!]: Wie würden die Betriebe im Fall der Fälle auf unverhältnismäßige Entgelterhöhungen reagieren müssen?

Wolfgang Schmitz: „Ein Instrument hat Heinz Lison eben schon genannt. Wenn der Kostendruck weiter wächst, haben die Unternehmen natürlich vor allem ein Interesse, ihre Kernbelegschaften nicht abbauen zu müssen. Selbst in den schlechten Jahren hat ja gerade der Mittelstand mit allen Mitteln versucht, kein Personal zu verlieren. Und die Metall- und Elektroindustrie ist einzigartig mittelständisch geprägt: Ganze zwei Prozent der Unternehmen haben mehr als 1.000 Mitarbeiter. Wir setzen weiterhin darauf, die 250.000 neu geschaffenen Arbeitsplätze durch das Konjunkturtal zu bringen. Aber es wird – gerade vor dem Hintergrund der rückläufigen Aufträge – zunächst die Bereiche der Zeitarbeit treffen, mit denen bisher Produktionsspitzen abgefangen wurden. Und es wird vermehrt Zeitarbeitskonten geben, im schlechteren Falle auch wieder Kurzarbeit. Wollen wir alle hoffen, dass es nicht dazu kommt“.

[unternehmen!]: Wird es nicht nur eine harte, sondern auch eine lange Verhandlungsrunde werden?

Heinz Lison: „Wenn es nach uns geht, kommen wir möglichst schnell zu einem Abschluss. Denn unsere Unternehmen brauchen Planungssicherheit, soweit sie in diesen unruhigen Zeiten überhaupt herstellbar ist. Allerdings hat die IG Metall mit der höchsten Tarifforderung seit sage und schreibe 16 Jahren die Latte – auch gerade für sich selbst – sehr, sehr hoch gelegt. Bisher bleibt die Gewerkschaft völlig unbeeindruckt davon, dass uns gerade die halbe Finanzwelt um die Ohren fliegt, die US-Wirtschaft – und damit unser größter Absatzmarkt – taumelt und die deutsche Industrie ohne eigenes Verschulden so langsam in den allgemeinen Strudel gerät. Ich sehe uns in einer völlig paradoxen Situation, in der wir mit den Fakten argumentieren müssen, die uns Unternehmern am wenigsten gefallen und in der wir vielleicht noch mehr schlechte Nachrichten brauchen, ehe die Gewerkschaft ihre tauben Ohren und blinden Augen öffnet“.

Die Fragen stellte Rainer Rehbein

 

Info:

In einer aktuellen ifo-Umfrage äußerten 26 Prozent der Metall- und Elektrounternehmen, dass sie gar keine Lohnerhöhungen verkraften könnten, ohne Personal zu entlassen. Weitere zehn Prozent planen eine Reduzierung der Belegschaft bei einem Lohnabschluss ab zwei Prozent, weitere 26 Prozent sehen Arbeitsplätze ab Tariferhöhungen von drei Prozent in Gefahr. Ganze zwei Prozent der befragten Unternehmen sagten, sie könnten Lohnerhöhungen von mehr als fünf Prozent verkraften. (Quelle: WirtschaftsWoche)

 

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