Mit einem Plädoyer für gemeinwohlorientiertes Handeln der Unternehmerschaft eröffnete der Vorstandsvorsitzende der Unternehmerverbandsgruppe Michael J. Walter vor über 400 Gästen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft den Unternehmertag Sommer 2012. „Uns Unternehmern darf es nicht nur um den eigenen Bauchladen gehen, wir müssen stets auch das Gemeinwohl im Blick haben“, erklärte Walter. Es könne den Unternehmen nicht egal sein, dass immer noch so viele Jugendliche nach der Schule perspektivlos seien.
Der Wirtschaftsvertreter verwies hier auf den aktuellen Bundesbildungsbericht wonach 15 bis 20 Prozent der Jugendlichen nicht richtig lesen, schreiben und rechnen können, wenn sie die Schule verlassen. „Ich halte das für einen Skandal. Keine Gesellschaft darf sich einen so hohen Prozentsatz an Abgehängten erlauben – und in Zeiten des Fachkräftemangels können wir Unternehmer es uns schon gar nicht erlauben, auf 20 Prozent der Jugendlichen zu verzichten“, mahnte Walter.
Der Unternehmertag stand dieses Jahr ganz im Zeichen der Bildungspolitik. Der Verband hatte mit der stellvertretenden Ministerpräsidentin und Schulministerin Sylvia Löhrmann dazu einen prominenten Gast geladen. In seiner Rede fand Michael J. Walter kritische, aber auch lobende Worte für die Bildungspolitik der rot-grünen Landesregierung. Er bemängelte, dass in den Schulen immer noch nicht genügend zur Stärkung der sogenannten MINT-Fächer, das heißt für die Disziplinen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, getan werde.
Walter appellierte an die Politik, mehr für die Ausbildungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu tun, statt mit neuen Ausbildungsumlagen für die Unternehmen zu drohen. Er begrüßte für die Wirtschaft hingegen den gefundenen Schulkonsens, der maßgeblich von Schulministerin Löhrmann ausgehandelt worden sei.
Schulministerin Sylvia Löhrmann freute sich über die Einladung des Unternehmerverbandes und lobte die Wirtschaftsvertreter für ihr Engagement in der Bildungspolitik. „Dass Sie nur drei Punkte im neuen Koalitionsvertrag kritisieren, ist eine gute Ausgangslage für unsere Diskussion heute“, so die Ministerin zu Beginn ihrer Rede augenzwinkernd. Sie betonte, dass ihr der Dialog mit Vertretern der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft sehr am Herzen liegt. „Diese Landesregierung will nicht durchregieren, sondern im größtmöglichen Konsens um die richtigen Lösungen ringen“, so Löhrmann.
In ihrer rund 30-minütigen Rede zählte die Schulministerin die grundlegend veränderten Rahmenbedingungen der Bildungspolitik auf, auf die Politik man reagieren müsse. So habe sich der Elternwille radikal geändert; immer weniger Mütter und Väter wollten, dass ihre Kinder zur Hauptschule gehen und immer mehr schickten ihre Kinder auf das Gymnasien. Auf diese Entwicklung gebe der Schulkonsens mit der neu geschaffenen Sekundarschule eine Antwort. Wichtig ist der Ministerin insbesondere eine bessere Berufsvorbereitung in den Schulen. Sie dankte dem Unternehmerverband in diesem Zusammenhang für seine Schulprojekt-Arbeit im Rahmen der „Vertieften Berufsorientierung“.
Die Ministerin freute sich besonders über das Gastgeschenk, das der Unternehmerverband ihr überreichte. Es handelte sich um einen Experimentalkasten „Natur und Technik“. Was normalerweise für Schüler gedacht ist, soll diesmal der Ministerin eine Anregung sein, mehr für die MINT-Fächer an den Schulen zu tun. Die Ministerin reagierte schlagfertig. Sie signierte den Experimentalkasten und schenkte ihn einer anwesenden Schulleiterin. „Die können ihnen noch besser gebrauchen“, so Löhrmann.
Nicht nur der Austausch über die richtige Bildungspolitik, auch bewegende Momente konnte man auf dem Unternehmertag erleben. So wurde zum siebten Mal der Unternehmerpreis „Der Traum vom Fliegen“ – als Überraschungspreis – verliehen. „Mit dem Preis wollen wir all jenen Mut machen, die in diesem Land für Arbeitsplätze und Produktivität sorgen und tagtäglich eine große Verantwortung schultern“, sagt Michael J. Walter zur Bedeutung des Preises.
Die Unternehmerinnen Gisela Pieron aus Bocholt und Heike Gothe aus Mülheim an der Ruhr wurden ausgezeichnet – und sie waren von der „großen Ehre“ sichtlich gerührt. Sowohl Pieron als auch Gothe haben viel gemeinsam: Durch den frühen Tod ihrer Ehemänner haben sie schwere Schicksalsschläge verkraften müssen. Von da an waren sie nicht nur alleinerziehende Mütter; sie mussten auch plötzlich und unvorbereitet Verantwortung für ihre Unternehmen übernehmen. Die Rede ist von der PIERON GMBH in Bocholt und dem Unternehmen Elektro-Apparate GOTHE & CO. GmbH in Mülheim an der Ruhr. „Welch eine klasse Leistung, die Unternehmensführung in so einer Situation zu schultern, Kinder großzuziehen und dann noch erfolgreich damit zu sein“, erklärte Michael J. Walter zur Preisverleihung.
Pieron und Gothe seien ehrbare Kauffrauen im besten Sinne. Bei ihnen stehe nicht der kurzfristige Profit im Vordergrund, sondern der ungeschriebene Generationenvertrag, dass sie ihre Unternehmen an die nächste Generation weitergeben wollen. Beide Unternehmerinnen zeigten sich zudem über den Tellerrand der eigenen Betriebsbelange hinaus dem Gemeinwohl verpflichtet. Und beide seien mit einer großen sozialen Kompetenz ausgestattet. „Kurzgefasst: Sie sind beide tolle Frauen“, sagte Michael J. Walter an die Preisträgerinnen gerichtet.
Die Emotionen kamen bei dieser bewegenden Preisverleihung wahrlich nicht zu kurz; beide Preisträgerinnen waren völlig überrascht und sehr bewegt. In ihren kurzen Dankesworten machten beide klar, dass sie die Preise stellvertretend für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entgegennehmen, die einen großen Anteil am Erfolg hätten. „Das ist ein tolles Signal, dass mir viel Mut macht“, sagte Heike Gothe zum Abschluss der Preisverleihung.
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