2022

Gesamtwirtschaftliche Entwicklung (SVR): Jahresgutachten 2022/2023

Sachverständigenrat: „Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität gestalten“

 

Anfang November hat der der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) sein 59. Jahresgutachten 2022/2023 mit dem Titel „Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität gestalten“ vorgestellt.

Seine Kernaussagen: Die globalen Konjunkturaussichten haben sich gegenüber der Frühjahrsprognose deutlich eingetrübt. Hohe Produktionskosten belasten die Unternehmen, die anhaltende Störung internationaler Lieferketten dämpft weiterhin die Industrieproduktion. 

1. Konjunktureller Ausblick durch die Energiekrise massiv belastet (Seite 14 bis 79)

Der SVR prognostiziert für das Gesamtjahr 2022 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,7 Prozent. Die Bundesregierung hatte in ihrer Herbstprojektion eine Zunahme des BIP von 1,4 Prozent vorhergesagt.

Für 2023 ist eine leichte Rezession mit einem Rückgang des BIP um0,2 Prozent zu erwarten. Für die Verbraucherpreisinflation prognostiziert der SVR Raten von 8,0 Prozent für 2022 und 7,4 Prozent für 2023. Die Prognose für 2023 unterliegt jedoch bedeutenden Risiken wie einer Verschärfung der angespannten Lage am Energiemarkt. Sollte es zu einer Gasmangellage kommen, ist mit einer tiefen Rezession und noch höherer Inflation zu rechnen.

Der Arbeitsmarkt zeigt sich trotz der konjunkturellen Eintrübung robust, die Arbeitslosenquote befand sich im September auf niedrigem Niveau von 5,4 Prozent. Die stützende Wirkung dürfte im Prognosehorizont bestehen bleiben. In der Mittelfristprojektion stellt der SVR fest, dass das Potentialwachstum aufgrund der hohen Energiepreise rückläufig ist. Die Corona-Pandemie hatte das Potential mittel- bis langfristig dagegen kaum verringert.

2. Inflation und Geldpolitik (Seite 84 bis 131)

Die Inflation im Euro-Raum hat den höchsten Stand seit der Gründung der Währungsunion erreicht und dürfte länger erhöht bleiben, Preise steigen mittlerweile in der Breite. Durch die hohe Inflation ergeben sich Wohlfahrtsverluste und erhebliche Verteilungseffekte. Der SVR betont, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen aufgrund hoher Konsumquoten am stärksten belastet seien. 

Trotz der Herausforderungen durch die Angebotsschocks sieht der SVR eine Fortsetzung der entschlossenen Reaktion der Europäischen Zentralbank (EZB) als vorerst notwendig an. Die Konzertierte Aktion könne dazu beitragen, das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale und damit den Inflationsanstieg zu dämpfen

3. Deutsche Finanzpolitik vor schwierigen Herausforderungen (Seite 140 bis 160)

Die Finanzpolitik steht mit der Energiekrise vor einer weiteren großen Herausforderung. Der SVR sieht die mittelfristige Schuldentragfähigkeit durch erforderliche zusätzliche Kreditaufnahme bisher nicht gefährdet. Fiskalpolitische Entlastungsmaßnahmen sollten gezielt an untere und mittlere Einkommen gerichtet sein, um die Inflation nicht weiter anzutreiben und Energiesparanreize erhalten.

Zudem schlägt der SVR die temporäre Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder einen zeitlich streng befristeten Energie-Solidaritätszuschlag für Spitzenverdienende vor. Die Befristung könne an die Dauer der Gas- oder Strompreisbremse gekoppelt werden, negative Wachstumseffekte dürften durch die zeitliche Befristung überschaubar bleiben.

4. Reformperspektiven für die europäische Fiskalpolitik (Seite 162 bis 202)

Die Staatshaushalte sind durch die derzeitigen Krisen belastet, dies verschärft die Spannung zwischen Schuldentragfähigkeit und öffentlichen Aufgabenerfüllung. Der SVR spricht sich für eine verbindliche Ausgabenregel aus, die die EU-Fiskalregeln überprüfbarer machen, Tragfähigkeitsrisiken begrenzen, konjunkturstabilisierend wirken sowie investive Spielräume erweitern würden.

Über die Reform der Ausgestaltung der Fiskalregeln hinaus sollte die mögliche Finanzierung gemeinsamer europäischer Projekte sowie der stabile Finanzmarkt in den Blick genommen werden. Für den Ausbau der europäischen Energienetze sollte die EU mehr Geld durch die Erhöhung der nationalen Beiträge an den EU-Haushalt oder die eigenen Einnahmen erhalten.

5. Energiekrise und Strukturwandel: Perspektiven für die deutsche Industrie (Seite 208 bis 268)

Der SVR rechnet damit, dass fossile Energien wie Gas bis mindestens Frühjahr 2024 knapp bleiben. Mittelfristig sollen die Preise wieder sinken, jedoch nicht zum Vorkrisenniveau zurückkehren. Energieintensive Wirtschaftszweige, die im Wettbewerb mit nicht-europäischen Wettbewerbern stehen, sind besonders betroffen. Eine breite Deindustrialisierung wird nicht befürchtet. Der durch die Dekarbonisierung anstehende Strukturwandel wird sich beschleunigen. Staatliche Unterstützung sollte auf Unternehmen mit zukunftsfähigem Geschäftsmodell abzielen, nicht den Status quo erhalten.

Um die Preise zu senken, soll möglichst gemeinsam mit anderen EU-Staaten rasch Flüssiggas (LNG) beschafft und Kohlekraftwerke aus der Reserve mobilisiert werden. Zudem spricht sich der SVR für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke über den 15. April 2023 hinaus aus, um zu einer Entspannung am Strommarkt beizutragen. Regulatorische Unsicherheiten für Investoren in den Ausbau erneuerbarer Energien sollen vermieden werden.

6. Fachkräftesicherung: Handlungsoptionen bei Weiterbildung und Erwerbsmigration (Seite 278 bis 346)

Der SVR erwartet durch die demografische Entwicklung und den zeitgleichen Strukturwandel eine Verschärfung der Fachkräfteengpässe. Kernstücke der Lösung sind zielgerichtete berufliche Weiterbildung und gesteuerte Erwerbsmigration, verstärkt aus nicht EU-Staaten. 

7. Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten geopolitischer Veränderungen (Seite 358 bis 413)

Die zunehmende Integration in die Weltwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten hat den Erfolg der deutschen Wirtschaft ermöglicht. Wirtschaftliche Abhängigkeiten und geopolitische Spannungen stellen Deutschland und Europa vor neue Herausforderungen. Als dringend erforderlich nennt der SVR daher die stärkere Diversifizierung von Lieferketten, den Ausbau europäischer Produktionskapazitäten und Infrastrukturen sowie die Stärkung strategischer Autonomie.

Bewertung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)

Die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, insbesondere durch die extremen Energiepreissteigerungen, belasten die Haushalte und Unternehmen in Deutschland stark. Die Erweiterung des Energieangebots auf nationaler und europäischer Ebene ist wichtig.

Befristete Steuererhöhungen oder ein Energie-Solidaritätszuschlag sind gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten keine Lösung, wir haben bereits eine im internationalen Vergleich sehr hohe Steuerbelastung. Im Koalitionsvertrag ist verankert, dass es keine steuerlichen Mehrbelastungen geben wird. Stattdessen müssen die vorhandenen Haushaltsmittel zielgenau eingesetzt werden und dabei eine unsere Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltige Staatsfinanzen im Blick behalten werden.

Eine Verschiebung des Ausgleichs der kalten Progression auf einen späteren Zeitpunkt erhöht die Steuerlast der ohnehin durch die Inflation belasteten Einkommen und schmälert die Handlungsmöglichkeiten mittelständischer Unternehmen und die Kaufkraft zusätzlich. Zum zeitnahen und zielgenauen Ausgleich der kalten Progression forderten wir die Bundesregierung bereits in unserer Stellungnahme zum Inflationsausgleichsgesetz auf, künftig eine jährliche Anpassung der Tarifeckwerte an die Inflation vorzunehmen.

Zu Recht betont der Sachverständigenrat in seinem diesjährigen Gutachten, dass die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung durch die Entlastungspakete wie etwa der Tankrabatt oft wenig zielgerichtet waren. Dringend benötigt werden dagegen befristete, zielgerichtete Hilfen für besonders betroffene Unternehmen und Haushalte.

Gerade in unserer derzeitigen wirtschaftlichen Lage müssen Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigt und Bürokratie vermieden werden. In einem gemeinsamen Positionspapier mit BDI, DIHK und ZDH forderten wir die Bundesregierung kürzlich auf, die Verwaltungsdigitalisierung durch die Weiterentwicklung des Onlinezugangsgesetzes voranzutreiben. Für Unternehmen sollte es ein Recht auf eine vollständig digitale Abwicklung von Verwaltungsleistungen geben.

Im Bereich Weiterbildung wird insbesondere die geringe Weiterbildungsbeteiligung bestimmter Gruppen - Geringqualifizierte, erwerbslose, Ältere, Beschäftigte in KMU - adressiert. Vorschläge für eine bessere Beratung, ein flächendeckendes Angebot und standardisierte Teilqualifizierungsmodule gehen in die richtige Richtung. Kritisch zu bewerten ist die Einführung einer umfangreichen bezahlten Bildungszeit nach österreichischem Vorbild für eine bessere Förderung von Weiterbildung im Strukturwandel. Wie sichergestellt werden soll, dass die erworbene Qualifikation auch tatsächlich am Arbeitsmarkt nachgefragt wird, bleibt, ebenso wie die genaue Finanzierung, unklar. Zudem ist die Bildungszeit kaum attraktiv für die Gruppen, die sich schon heute wenig an Weiterbildungen beteiligen.

Die Impulse des SVR im Bereich Erwerbszuwanderung gehen in die richtige Richtung und entsprechen in vielen Punkten den BDA-Forderungen. Gefordert wird unter anderem mehr Transparenz im Zuwanderungsrecht, eine Entfristung der Westbalkanregelung, zentralisierte und digitalisierte Ausländerbehörden auf Länderebene und Vereinfachungen bei der Anerkennung, besonders im nicht-reglementierten Bereich.

 

 

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