400.000 Euro investierte die BBS in eine Abbundmaschine. Geschäftsführer Jörg Olthues (rechts) zeigt das Bauteil eines Dachstuhls, das dort CNC-gesteuert zugeschnitten wurde.

[uv]magazin: Sie verstehen sich als Partner für die berufliche Bildung. Was steht im Zentrum Ihrer Arbeit?
Jörg Olthues: Unser Leitmotiv ist, Menschen in Arbeit zu bringen und zu halten. Das verstehen wir nicht nur als Bildungsauftrag an sich, sondern wir wollen mehr, nämlich beraten, motivieren und Perspektiven aufzeigen. Deshalb erstrecken sich unsere Bildungsdienstleistungen von der Kita bis hin zur rentennahen Beschäftigung. Unsere gemeinnützige Arbeit wird vom Kreis Borken, der Kreishandwerkerschaft, der Stadt Ahaus, der Handwerkskammer und der Akademie Klausenhof getragen.

[uv]magazin:Also richtet sich Ihre Bildungsarbeit an Beschäftigte aller Altersgruppen. In Zeiten des Fachkräftemangels per se begehrte Menschen. Wie kommen Sie an die rund 700 Personen, die sich täglich bei Ihnen aus- und weiterbilden?
Jörg Olthues: Wenn wir bei den Jugendlichen anfangen, sind dies genau keine Fachkräfte, sondern müssen erst einmal dahin kommen, lernwillig, -fähig und -bereit zu sein. Das fängt bei einer Tagesstruktur an, die wir jungen Menschen, die in ihren Familien nicht zurechtkommen, bieten. Durch unsere Werkstätten haben wir hier tolle Möglichkeiten, Tagesstruktur mit Berufsorientierung zu verbinden. Statt irgendwo auf der Straße rumzuhängen, arbeiten sie mit Holz, malen Werkstücke an oder helfen beim Kochen. Da lassen sich Talente entdecken.

[uv]magazin: Dieser Ansatz gilt auch für ihr BOZ, Berufsorientierungszentrum…
Jörg Olthues: Wir versuchen in Stufenprogrammen und teils Hand in Hand mit den Arbeitsagenturen, Jugendliche fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Manche sind schulmüde oder lernbehindert; oft sind sie aber praktisch begabt. Es geht hier erst einmal um Grundwerte wie Respekt, Pünktlichkeit usw. Hier kommen nicht zuallererst unsere Ausbilder zum Einsatz, sondern Pädagogen, Psychologen und Sozialarbeiter. Die Zielgruppe dieser Arbeit wächst enorm, hier spielen Elternhäuser, Corona und Gesellschaft, Stichwort GenZ, eine große Rolle. Das BOZ macht inzwischen die Hälfte unserer Arbeit aus. Das ist schon eine unglaubliche Entwicklung.

[uv]magazin: Eine schwierige Klientel…
Jörg Olthues: Leider, ja. Wir haben Teilnehmer, die in dritter Generation hier sind, also schon der Opa hier war. Wenn wir ihnen hier aber nicht helfen, landen sie im Bürgergeld. Besser ist dann doch, dass sie etwas durchhalten, lernen und am Ende sogar vorweisen können, um z. B. eine vereinfachte Ausbildung anzutreten. Das höre ich auch aus vielen Betrieben: Wir nehmen heute Leute ins System, die früher, zu Babyboomerzeiten, keinerlei Chance auf eine Ausbildung gehabt hätten. 

[uv]magazin: Die nächste Altersgruppe absolviert eine überbetriebliche Ausbildung. Das heißt…
Jörg Olthues: …wir unterstützen Azubis im Handwerk auf fachlicher Seite. So sind wochenweise Nachwuchskräfte aus 13 Gewerken hier, die z. B. ihre Grund- und Fachkurse oder ihre praktische Prüfung absolvieren. Die Baubranche ist ein gutes Beispiel: Einzelunternehmen decken nicht immer alle Elemente einer Berufsausbildung ab, die wir dann vermitteln. Das ist ein großer Vorteil für die Azubis, denn sie kommen nicht nur in Spezialgebieten oder als Handlanger auf den Baustellen zum Einsatz, sondern lernen wortwörtlich ihr Handwerk. Eine solche verlängerte Ausbildungsbank sind wir auch für die Bereiche Industrie, Elektro und Kunststoff. Insgesamt haben wir 60 Werkstätten, die meisten am Standort Ahaus, aber auch welche in Bocholt.

[uv]magazin: Ein ganz schön bunter Laden… Haben Sie selbst nicht auch Probleme, passende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden?
Jörg Olthues: Wir haben knapp 200 Beschäftigte – von technischen und handwerklichen Ausbildern über Sozialpädagogen und Erziehern bis hin zu Psychologen, also leider in vielen Mangelberufen. Da kommt uns die Nähe zur Hochschule im niederländischen Twente entgegen, die uns viele interessierte Berufseinsteiger beschert. Weil wir eben so vielfältig sind, können sie sich in verschiedenen Feldern ausprobieren. Zweiter Faktor ist, dass wir wirklich ein attraktiver Arbeitgeber sind. Uns gibt es seit 50 Jahren hier am Standort, wir wachsen stetig, machen im Jahr rund 15 Millionen Euro Umsatz, ich bin erst der dritte Geschäftsführer in dieser Zeit.

[uv]magazin: Beständigkeit heißt aber nicht Stillstand…
Jörg Olthues:Wir sind offen und modern, das ist mir total wichtig, seit ich vor vier Jahren die Leitung übernommen habe. Ein guter Kontakt zu den Firmen und Arbeitgebern zählt z. B. zu diesem neuen Zeitgeist, Netzwerkarbeit in Ihrem Unternehmerverband auch. Und wir haben auch die Bedarfe auf dem Markt klar im Blick. Zwei Beispiele: Im Bereich Hauswirtschaft haben wir neue Elemente rund um die Pflege aufgenommen, sodass unsere Absolventen als gefragte Altershelfer bei Senioren eingestellt werden können. Und für die Zimmerei haben wir 400.000 Euro in eine hochmoderne Abbund-Maschine investiert, auf der ja auch im „echten“ Betrieb Holz CNC-gesteuert zugeschnitten wird.

Die BBS im Überblick

Vier Geschäftsbereiche

  1. Berufsorientierungszentrum
  2. Überbetriebliche Ausbildung
  3. Berufliche Weiterbildung
  4. Beratung, Qualifizierung, Umschulung

[uv]magazin: Sie bilden also ziemlich nah am wirklichen Berufsleben aus?
Jörg Olthues: Das kann man absolut so sagen. Da unsere Werkstätten gut ausgestattet sind, können wir auch Angebote für die berufliche Weiterbildung machen. Das Equipment nutzen wir für Seminare und Workshops für Beschäftigte. Ein boomendes Feld ist z. B. Software, Automatisierung und Elektronik. Hier haben wir uns in ganz NRW einen Namen gemacht. 

[uv]magazin: Was sind weitere Zielgruppen?
Jörg Olthues: Wir beraten auch Menschen, die arbeitssuchend oder arbeitslos sind, eine Reha-Maßnahme belegen oder z. B. geflüchtet sind. Für sie können wir dann auch die richtige Qualifizierung oder Umschulung anbieten oder auch Bewerbungstrainings. Da wir viele und gute Kontakte in die Firmen haben, können wir auch beim Matching auf freie Stellen helfen. Das ist auch ein wichtiges Angebot für Wiedereinsteiger. Frauen, die mehrere Jahre in Elternzeit waren, sind schon ein Stück weit von der heutigen IT entfernt. Hinzu kommt auch, dass wir Transfer-Gesellschaften anbieten. Von einem großen Möbelhersteller hier in der Region haben wir fast 200 Mitarbeiter ein halbes Jahr lang begleitet – mit wirklich guter Vermittlungsquote. 

[uv]magazin: Was bringt die Zukunft?
Jörg Olthues: Es wird für die 4.600 Handwerksbetriebe im Kreis Borken immer weniger Azubis geben. Dabei mangelt es nicht an Anerkennung: Der jüngste Bauboom hat gezeigt, dass Handwerker gut verdienen, im sozialen Umfeld anerkannt sind, überhaupt ein gutes Image hier in unserer ländlichen Region haben. Wenn es weniger Fachkräfte gibt und zugleich der Anspruch der Arbeit steigt, hilft die Digitalisierung. Diese Entwicklung im Handwerk gehen wir mit, etwa mit der oben schon erwähnten Abbundmaschine, die unsere größte Einzelinvestition jemals war. Da wird per CAD am PC alles geplant, per CNC-gesteuerter Maschinen produziert und vor Ort wie ein Lego-System zusammengebaut. Wir investieren pro Jahr etwa eine Million Euro in Maschinen, z. B. auch jüngst für die Fliesenleger: Per Scanner, der in der Mitte des neuen Badezimmers aufgestellt wird, wird alles vermessen. Riesige Fliesen, die teils eine ganze Wand bedecken können, werden dann ebenfalls CNC-gesteuert in einer Maschine geschnitten, also auch die Aussparungen für Elektrik und Rohre. 

[uv]magazin: Welche Unterstützung brauchen Sie von der Politik?
Jörg Olthues: Planbarkeit und Verlässlichkeit. Viele Förderprogramme und Maßnahmen werden zeitlich befristet ausgeschrieben; die Förderlandschaft ist eigentlich ständig in Bewegung. Deshalb können wir unseren Beschäftigten nur Zeitverträge anbieten. Dabei heißt es gerade in der personalintensiven und engen Arbeit in der Jugendhilfe, dass Bindungen aufgebaut werden müssen, um etwas zu erreichen. Leider zwingt uns die Politik zum Gegenteil. Es gibt hier gute Ansätze, dass sich etwas verändert. Ich sage aber auch ganz klar, dass hier auch die Gesellschaft gefordert ist, Schwächere nicht auszugrenzen.

Kontakt zur Autorin

Jennifer Middelkamp

Jennifer Middelkamp

Pressesprecherin
Regionalgeschäftsführung Kreise Borken | Kleve