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[u!]: Frau van der Zander, was passiert gerade in der Arbeitswelt?
Rona van der Zander: Herzlich Willkommen in der VUCA Welt! VUCA steht für Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Das beschreibt unsere aktuelle Welt –und eben auch die Arbeitswelt – sehr gut: Alles verändert sich unglaublich schnell, wird immer komplexer und unsicherer. Für die Menschen eine große Herausforderung und für Unternehmen auch, denn die Wirtschaft wünscht sich natürlich Planbarkeit, Garantien und Sicherheit. Das Gegenteil ist der Fall. Vieles ordnet sich gerade in rasantem Tempo neu: Arbeitszeit und Ort, Verträge, Bedingungen, Qualifizierungen. Die Innovationszyklen werden immer kürzer, die Halbwertzeit von Wissen schrumpft immer schneller. Was gestern an Wissen noch aktuell war ist morgen schon ‚out-dated‘. In der VUCA Welt werden dezentrale Beziehungen, Netzwerke, Kollaboration und Transparenz immer wichtiger, um dieser Schnelligkeit und Komplexität zu begegnen.
[u!]: Und um VUCA zu bewältigen ist New Work die Lösung?
Rona van der Zander: New Work ist in den letzten Jahren zu einem Buzzword geworden. Ich habe das Gefühl, dass es für viele für hippes Arbeiten in einem Berliner Start-up steht – mit Obstkorb, Tischkicker und flachen Hierarchien. Dabei ist das ursprüngliche Konzept ja schon relativ alt und stammt aus den frühen 1980er-Jahren. Fritjof Bergmann entwickelte es in den USA gemeinsam mit Automobilherstellern, da im Zuge der zunehmenden Automatisierung die Arbeitsaufgaben der Produktionsmitarbeitenden immer monotoner wurden. Bergmann fragte sich also, wie man die Arbeit in den Fabriken motivierend gestalten könnte. Dieser Grundgedanke ist nach wie vor die Basis. In den vergangenen 40 Jahren hat sich das Verständnis aber gewandelt und erweitert. Hier und heute stehen wir an dem Punkt, dass wir den Sprung von der Industriegesellschaft in dieWissensgesellschaft schaffen müssen. Ich denke, wir stehen hier an einer Zeitenwende! Und gerade, weil wir jetzt an dieser Zeitenwende stehen, ist das Thema in den letzten Jahren so in den Fokus gerückt. Für mich ist New Work heute die Frage nach wirklich modernem, neuem Arbeiten – wie wollen wir in Zukunft, im digitalen Zeitalter, in dieser VUCA Welt zusammenarbeiten? Diese neue Arbeitswelt, dieses New Work, dieses neue Arbeiten, das gilt es jetzt zu gestalten – auch um Talente zu halten und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Das wird aber nur funktionieren, wenn man das Thema ernst nimmt und auch so angeht: New Work muss alle erreichen – Mitarbeitende in der Fabrik, in der Pflege und in der Vorstandsetage. Wer New Work lediglich als Feigenblatt und Marketinginstrument für Employer Branding versteht, wird hier nicht weit kommen.
[u!]: Wir beobachten trotz Corona- Krise und Ukraine-Krieg einen Arbeitsmarkt der, zahlenmäßig betrachtet, sehr entspannt bleibt – wie passt das zusammen?
Rona van der Zander: Bleibt der Arbeitsmarkt wirklich sehr entspannt? Ich habe das Gefühl, wir sind schon seit ein paar Jahren im VUCA Modus. Die Krisen reißen ja auch nicht ab, sondern kommen immer schneller: Klima, COVID, Krieg. Die Verunsicherung ist deutlich zu spüren und gleichzeitig werden die Fragen immer drängender: Wie gehen wir damit um? Wie werden wir flexibler, agiler? Wie stellen wir uns zukunftsfähig auf? Der Fachkräftemangel ist schon seit Jahren ein großes Thema und wird auch in diesem Zusammenhang eine immer größere Herausforderung. Es fehlen schon jetzt an allen Ecken und Enden Talente. Nun kommt hinzu, dass auch bestehende Jobs sich immer schneller wandeln und Talente mit den benötigten Fähigkeiten, z.B. für Digitalisierungsthemen, schwer zu finden sind. Aber dieser Wandel, diese Zeitenwende ist natürlich auch eine tolle Möglichkeit, Dinge neu zu denken – viele Unternehmen machen sich mit spannenden Ideen, Projekten und Produkten auf den Weg. Die reinen Zahlen sind also nur ein Teil der Wahrheit.
[u!]: Was sind für Sie die großen New-Work-Themen?
Rona van der Zander: Hier müssen wir uns alles anschauen: Wo, wann und wie arbeiten wir? Und auch die Frage ‚was‘ arbeiten wir, was tun wir eigentlich? Es geht sicherlich viel um den Sinn und Inhalt von Arbeit (‚Purpose‘) und um die Motivation, mit der sich Bergman ursprünglich beschäftigte. Aber auch um die konkrete Zusammenarbeit, Kommunikation und Frage, wie die Digitalisierung unsere Arbeit verändert und wie wir dies gestalten möchten.
[u!]: Landläufige Meinung: Bürojobs werden im Rahmen von New Work aufgehübscht, gewerbliche Berufe bleiben, wie sie sind. Richtig oder falsch?
Rona van der Zander: Wenn die Bürojobs nur ‚aufgehübscht‘ werden und keine wirkliche, tiefgreifende Transformation stattfindet, dann bringt das auch nichts. Grundsätzlich können Bürojobs an einigen Stellen natürlich erstmal schneller von New Work, also etwa Digitalisierungsthemen wie mobilem Arbeiten, profitieren. Aber es geht hier ja um unsere zukünftige Zusammenarbeit in der VUCA Welt – deshalb müssen wir an alle Jobs ran und schauen, wie wir diese zukunftsfähig und eben auch attraktiv machen können.
[u!]: Was konkret können Unternehmen für die gewerblichen Arbeitsplätze in Sachen New Work tun?
Rona van der Zander: Bei New Work geht es ja auch immer viel um einen neuen Führungsstil und Kommunikation auf Augenhöhe mit einer gewissen Offenheit und Experimentierfreude. Also die Leute einfach mal konkret fragen: Was können wir für Euch anders und besser gestalten? Wo könnte die Digitalisierung auch euch helfen, euren Job einfacher zu machen? Wo können wir euch die Flexibilität, die die Bürojobs durch mobiles Arbeiten erfahren, auch zumindest im Ansatz bieten? Ich erlebe noch oft Firmen, wo die gewerblich Mitarbeitenden keinen digitalen Zugang zu der internen Kommunikation des Unternehmens haben. Das geht nicht! Gleiches gilt für die Aus- und Weiterbildung, ein immer wichtigeres Thema: Im Fokus muss ausnahmslos die Förderung der individuellen Stärken stehen. Bei allen. Ohne Unterschied. Bergmann beschäftigte sich ja ursprünglich im New-Work-Kontext mit Produktionsarbeitenden in Fabriken und erarbeitete fünf Kernziele für New Work: Selbstständigkeit, Freiheit, Teilhabe an der Gemeinschaft, Freiräume für Kreativität und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit mit dem Ergebnis von echter Handlungsfreiheit. Auch 40 Jahre später haben wir hier noch sehr viel Luft nach oben!
[u!]: HR-Professionals stöhnen über Anmaßungen der nachrückenden Generationen: Millennials, Y, Z – sie starten in den Beruf und fordern, fordern, fordern, ohne auf der Habenseite schon ein Erfahrungsguthaben aufgebaut zu haben. Ist New Work vielleicht auch ein bisschen ein Ausweg, um die Berufseinsteiger bei Laune zu halten?
Rona van der Zander: Die nächste Generation hat sicherlich einen anderen Blick auf viele Dinge – und das ist auch gut so. Sich darauf einzulassen und verstehen zu wollen, worum es den jungen Menschen geht, kann sehr wertvoll sein und alle nur weiterbringen: mehr Augenhöhe, weniger Senioritätsprinzip! Ich würde also nicht sagen, dass es hier um Anmaßungen geht, sondern um ein anderes Verständnis von vielen Dingen. Warum soll ich beispielsweise ins Büro kommen, wenn ich doch von überall arbeiten kann – vielleicht sogar besser als im Büro? Sich dann gemeinsam hinzusetzen und zu sagen: „OK, du willst von überall arbeiten, aber wie machen wir das mit dem Teamgefühl, wie kriegen wir das hin, dass sich alle kennen und vertrauen?“ Diese Diskussion und das Ergebnis sind doch das Spannende! Das kann dann eben auch nicht mehr ein bisschen New Work sein, sondern da geht es um tiefgreifende kulturelle und kommunikative Veränderungen. Wenn meine Chefin mich einen Tag von zu Hause arbeiten lässt, um mich bei Laune zu halten, sie es aber eigentlich blöd findet und die Prozesse auch überhaupt nicht darauf ausgelegt sind, dann funktioniert das natürlich auf Dauer nicht.
[u!]: Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Bildung und werfen Schulen und Universitäten vor, sich noch gar nicht auf die neuen Herausforderungen im Berufsleben eingestellt zu haben. Woran hapert es?
Rona van der Zander: An (fast) allem. Unser Bildungsverständnis und System steckt leider noch im industriellen Zeitalter fest und bereitet gar nicht auf die Herausforderungen der VUCA Welt vor. Es geht immer noch um auswendig lernen, Abschlüsse machen, in Fächern denken. Dabei leben wir eben in einer hochvernetzen, sich rasant verändernden Welt, in der Abschlüsse schon heute praktisch nichts mehr wert sind. Die Halbwertszeit von Wissen sinkt so schnell – was ich heute weiß, ist morgen schon nicht mehr aktuell. ‚Lebenslanges Lernen‘ ist auch so ein Schlagwort geworden, aber darum geht es natürlich am Ende. Studien zeigen, dass 50 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis 2025 ein sogenanntes ‚re-skilling‘ brauchen, sich also komplett neue Fähigkeiten aneignen müssen. Junge Menschen werden bis zu sieben (!) verschiedene Professionen (nicht Jobs) in ihrem Leben haben. Lernen zu lernen, dran zu bleiben, sich zu wandeln – das ist der absolute Schlüssel für die Zukunft.
[u!]: Wie können wir diese Bildungslücke schließen? Was kommt da noch auf die Unternehmen zu?
Rona van der Zander: Systematische Fort-,Weiter- und Umbildung ist sicherlich eine der Hauptherausforderungen der Zukunft. Wir haben ja jetzt schon einen akuten Fachkräftemangel, das wird schlimmer. Wir müssen jetzt systematisch weiterbilden, um dieses Problem zumindest zu lindern. Da brauchen wir eine große Lern- und Veränderungsbereitschaft in der Belegschaft. Kultur und Fähigkeiten gehen da Hand in Hand – die größte Hürde für die Veränderungs- und Lernbereitschaft ist die Kultur des Unternehmens.
Das Interview führte
Christian Kleff
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