Soziale Dienstleister am Limit
Unternehmerverband Soziale Dienste und Bildung brachte bei einem Werkstattgespräch in Duisburg Wirtschaft und Landespolitik in den Dialog.
Kinder betreuen, Senioren pflegen, Menschen mit Behinderung begleiten – hierfür braucht es qualifizierte Menschen, viel Zeit für Zuwendung anstatt für Dokumentation und eine ausreichende Finanzierung. An all dem aber mangelt es: Soziale Dienstleister sind am Limit! Diesen Fakt brachten Mitglieder des Unternehmerverbandes Soziale Dienste und Bildung im Gespräch mit den sozialpolitischen Sprechern der relevanten Parteien im NRW-Landtag nun auf den Punkt. Sie trafen auf Marco Schmitz (CDU), Jule Wenzel (Grüne), Thorsten Klute (SPD) und Susanne Schneider (FDP).
Nicht mit Traktoren oder stehenden Zügen, sondern einmalig und symbolhaft um fünf vor zwölf protestierten im vergangenen Herbst 22.000 Menschen vor dem Landtag in Düsseldorf. Genau wie im Werkstattgespräch ging es um die Lage in Kitas, im Offenen Ganztag, der Pflege und weiteren Sozialangeboten. „Wir haben den Eindruck, dass der Politik, aber auch der Gesellschaft, der Ernst und die Brisanz der Lage nicht bewusst sind“, sagte Michael Reichelt, Vorstandsvorsitzender des Unternehmerverbandes. Der Geschäftsführer der Lebenshilfe in Duisburg ergänzte: „Wenn unsere Branche die Segel streicht, steht Deutschland still.“ Maximilian Tischmeier, Geschäftsführer der ruhrmed GmbH in Duisburg, sagte ebenso drastisch: „Es droht eine Pflege-Triage! Ein solches Szenario herbeizuführen, darf niemals Ziel der Politik sein!“
Mit vielen praktischen Beispielen verdeutlichten die Unternehmerinnen und Unternehmer ihre Lage: Sie berichteten von überflüssigen Dokumentationspflichten, nicht anerkannten Ausgaben für Datenschutz- oder Hinweisgeberschutzgesetz, seit 1996 unveränderten Erstattungssätzen sowie von unsinnigen Bauvorschriften. Martin Behmenburg, Inhaber eines privaten Pflegedienstes aus Mülheim, verdeutlichte das so: „Der Gesetzgeber muss erkennen, dass die bisherigen Vorgaben für die Kostenträger nicht zeitgemäß sind und an der Realität vorbeiführen. Die Versorgung von Menschen darf nicht an fehlender Refinanzierung scheitern.“ Zugleich müsse gespart werden, Reichelt wies auf Potenzial beim LVR, dem Landschaftsverband Rheinland, hin: „Hier bestehen Doppelstrukturen, viele Nachweise müssen wir nicht nur an die Krankenkassen, sondern auch zum LVR schicken. Die LVR-Beschäftigten, die uns prüfen, wären direkt in der Branche besser aufgehoben: Das würde Kosten sparen und Personallücken schließen.“
Den Ausweg aus der brisanten Lage benannten Wirtschaft und Politik einmütig: Fachkräfte gewinnen und bezahlen. Kontrovers hingegen diskutierten sie die einzuschlagenden Wege. Die Politik argumentierte mit der neuen bundeseinheitlichen Regelung der einjährigen Pflegeassistenz-Ausbildung – diese würde dem Arbeitsmarkt kurzfristig Hilfskräfte zuführen. Der Gegenvorschlag für den pädagogisch-pflegerischen Bereich aus Sicht der Betriebe: Ad hoc Hilfskräfte aufqualifizieren – und das mit externen Anbietern oder als Inhouse-Lösung, damit von Beginn an betriebsnah Kenntnisse aufgebaut werden. Reichelt: „Eine Planungssicherheit von zehn Jahren muss den Trägern gegeben werden, damit sich dieses Investment rechnet.“ Mit Blick auf langfristige Lösungen wollen die Anbieter wieder zur Fachkraftquote zurückkehren, wofür Ausbildungsmöglichkeiten weiter ausgebaut und den Trägern refinanziert werden müssen.
„Unser Unternehmerverband bündelt die Interessen von Sozialen Dienstleistern und schafft wie heute Gelegenheit zum Austausch. Wir wollten hier die Nöte in der Praxis schildern, die ja häufig Folgen von Gesetzgebung und politischen Entscheidungen sind“, fasste der Vorstandsvorsitzende Reichelt zusammen. Und lud zum Weitermachen ein: „Gerne darf die Politik uns vor Ort besuchen oder wir kommen als Experten in den Landtag. Unsere Anliegen brauchen Gehör, denn ohne Soziale Dienstleister geht es nicht.“
Dass die Anliegen auf offene Ohren stießen, bekräftigten die Politikerinnen und Politiker ebenso wie das Bewusstsein für die Notlage. Sie legten ihre Pläne und bereits umgesetzte Maßnahmen dar und zeigten Interesse, den Dialog zu verstetigen.