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Weiterlesen260 Mitarbeiter in fünf Geschäftsbereichen / Wohngruppen für Autisten bzw. minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge geplant
Geschafft: Ein 51-Jähriger absolviert mit viel Lebenserfahrung und Spaß seine Ausbildung zum Gesundheitskaufmann. Gescheitert: Ein Studienabbrecher hat seine Ausbildung zwar motiviert begonnen, aber dann doch nach wenigen Wochen geschmissen. Als Arbeitgeber hat Michael Reichelt, Geschäftsführer der Lebenshilfe Duisburg e.V., alle Erfahrungen gemacht, die er im Sinne einer „echten“ Inklusion von viel mehr Unternehmern erwartet: „Mit Mut und Offenheit sollten Arbeitgeber Menschen mit Handicap begegnen. Natürlich muss man geduldig sein, man kann scheitern, Mühe kann umsonst sein. Aber aus eigener Erfahrung darf ich mit Sicherheit sagen: Wer Menschen mit Handicap eine Chance gibt, hat dankbare, verlässliche, ordentliche, loyale und hochmotivierte Mitarbeiter.“
Festanstellung anstatt Stellen- und Maßnahmen-Marathon
Genau so einen wie Hans-Eberhard Bruse. Der 57-jährige Industriekaufmann ist bei der Lebenshilfe in der Rechnungsabteilung tätig, fehlte seit seinem Einstieg vor gut zwei Jahren an keinem einzigen Tag krankheitsbedingt. In dieser Zeit hat er sich zum Datenschutz-Beauftragten fortgebildet und bearbeitet auch dieses komplexe Feld nun; zudem ist er im QM-Team der Experte für die Visualisierung von Arbeitsabläufen. „Herr Bruse hat ein außerordentliches Talent für EDV und IT“, stellte sein Chef Michael Reichelt schnell fest, „mittlerweile löst er die verzwicktesten IT-Probleme. Dafür wird er im Haus sehr geschätzt.“ Dieses Gefühl ist neu für den passionierten Schachspieler: „Für mich ist es wundervoll hier. Ich habe nicht damit gerechnet, überhaupt noch einmal eine feste Anstellung zu bekommen. Mein Umfeld ist von großer Kollegialität geprägt; die persönliche Ansprache bedeutet mir viel.“
Eine solche berufliche wie auch persönliche Entwicklung war auch für Reichelt nicht vorhersehbar; seiner Ansicht nach werden Menschen allzu schnell stigmatisiert: wegen ihres Werdegangs, ihres Alters, ihres Handicaps, ihrer Unzulänglichkeiten oder ihrer Schwächen. Bei Hans-Eberhard Bruse war es ein persönlicher Lebenseinschnitt: Nachdem er wegen der häuslichen Pflege seiner Mutter anderthalb Jahre aus dem Berufsleben ausgeschieden war, folgten Jobs auf Praktika, Weiterbildung, befristete Beschäftigungen und Fördermaßnahmen. Nach diesem zehnjährigen Maßnahmen-Marathon kam Bruse über eine Fördermaßnahme zur Lebenshilfe. „Anfangs zuckte er bei jedem ‚Guten Morgen‘ auf dem Flur zusammen, Kommunikation war weder seine Stärke noch seine Leidenschaft“, erinnert sich Reichelt. Sich selbst attestiert Bruse eher ein zurückhaltendes, introvertiertes, abwartendes Naturell. „Keine gute Voraussetzung in großen Teams mit Ellbogen-Kultur“, so Reichelt. Er gab Hans-Eberhard Bruse eine Chance, der sie ergriffen hat und nun festangestellt ist.
Nach diesem Schlüssel-Schloss-Prinzip arbeitet der Lebenshilfe-Geschäftsführer auch mit einer Düsseldorfer Firma zusammen, die sich bundesweit darauf spezialisiert hat, Autisten als Spezialisten für EDV, IT und Telekommunikation zu finden und zu vermitteln. „Viele Autisten haben ein fotografisches Gedächtnis oder die Gabe, in Logarithmen Fehler aufzuspüren.“ Für den Berufseinstieg benötigen Autisten eine enge Begleitung durch einen Job-Coach. So müssen häufig erst eine Tagesstruktur aufgebaut und Unsicherheiten „in der anderen Welt, der Arbeitswelt“, wie Reichelt sie bezeichnet, abgebaut werden. Diese beruflichen wie alltäglichen Hilfestellungen gibt die Lebenshilfe rund 40 Autisten seit gut einem Jahr in ihrem Autismus-Therapie-Zentrum. Im vergangenen Herbst Jahr kam eine Tagesgruppe für autistische Kinder hinzu.
Unternehmen mit „Veränderungskultur“ neu strukturieren
Ebenfalls noch jung ist der Betreuungsverein der Lebenshilfe Duisburg e.V., der Anfang 2014 seine Arbeit aufgenommen hat. „Ziel des Betreuungsvereins ist es Menschen zu unterstützen, die aufgrund psychischer, geistiger Behinderung oder anderer Umstände nicht mehr in der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbst zu organisieren und zu regeln“, erläutert Reichelt. Über den Betreuungsverein werden beispielsweise Fortbildungen für ehrenamtliche Betreuer wie auch Informationsveranstaltungen zu Patientenverfügungen und Betreuungsvollmachten organisiert.
Reichelt selbst kommt aus der Sozialarbeit, schloss seinem Studium Management- und betriebswirtschaftliche Fortbildungen an. Weit über 20 Jahre lang war der heute 53-Jährige bei der Diakonie tätig, seit drei Jahren nun ist er Geschäftsführer der Lebenshilfe Duisburg. In dieser Zeit hat er das Unternehmen mit 260 Mitarbeitern neu aufgestellt: „Den nun fünf Geschäftsbereichen sind alle Mitarbeiter zugeordnet, Abläufe und Zuständigkeiten sind festgelegt.“ Was sich einfach und einleuchtend anhöre, war laut Reichelt eine Mammutaufgabe. „Mein Lieblingswort ‚Veränderungskultur‘ wurde intern zum Unwort des Jahres gekürt“, schmunzelt er rückblickend. Aber wie alle Lebenshilfen sei auch die in Duisburg aus einer Elterninitiative entstanden und dann stark gewachsen. „Mitarbeiter, viele ehrenamtlich Engagierte, die Eltern, der Vorstand… es sind einfach eine Menge Interessen da“, erklärt der Geschäftsführer.
Nutzungskonzepte anstatt Immobilien
Durch das neue Organigramm kann Michael Reichelt Projekte nun zügig angehen – so sollen 2017 etwa zwei neue Kitas, eine Wohngruppe für Autisten und zwei Wohngruppen für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge eröffnet werden. Für die beiden neuen Kitas hat sich Reichelt Investoren ins Boot geholt, die die Gebäude exakt auf die Lebenshilfe-Bedürfnisse zugeschnitten bauen und dann an ihn vermieten. Reichelt: „Wir setzen bewusst auf Nutzungskonzepte anstatt Immobilien. So sind wir einfach flexibler.“
Ob Schulintegration, Frühförderung Sozialraumbüro oder Kita, die Lebenshilfe möchte Inklusions-Vorreiter im Rheinland sein. So wird eine achtzügige reine Kindertagesstätte für Behinderte gerade Schritt für Schritt in eine inklusive Kita umgebaut, in die auch Kinder ohne Behinderung gehen dürfen. Reichelt erläutert: „Es ist für mich persönlich ein großes Anliegen, dass Kinder mit Behinderung dezentral in eine Einrichtung vor der Haustür gehen können. So ergeben sich für alle so viel Normalität und soziale Kontakte wie möglich.“ Zu diesem Zweck bietet die Lebenshilfe in seinem Kompetenz-Therapie-Zentrum auch städtischen oder kirchlichen Trägern Beratung und Coaching an, damit sie in ihren Regelgruppen einzelne Plätze für Kinder mit Handicap anbieten.
Auf diese Weise möchte Michael Reichelt seiner ganz persönlichen Vision für Menschen mit Behinderungen näher kommen: Teilhabe am Leben, an der Gesellschaft und am Berufsleben – und das im eigentlichen Wortsinn. „Kein Mensch gehört in eine Schublade. Menschen mit Behinderungen müssen auch frei entscheiden dürfen und nicht alternativlos in Werkstatt und Wohnheim unterkommen.“ Michael Reichelt ist zuversichtlich: „Die heutige Elterngeneration mit behinderten Kindern ist sehr aufgeschlossen; das Zutrauen, ihre Kinder loszulassen und frei entscheiden zu lassen, steigt.“
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