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WeiterlesenLebenshilfe Bocholt Wohnen gGmbH / Neu: WG und Gästehaus
Ein älterer Mann hat es sich auf der Schaukel im Garten bequem gemacht, zwei betagte Damen spielen Mensch-ärgere-Dich-nicht, andere helfen bei der Portionierung des Mittagessens oder kehren gerade von einem Spaziergang mit Besorgungen zurück. Die elf Menschen haben eines gemeinsam: Sie sind Rentner mit Behinderungen. Sie leben in stationären Einrichtungen der Lebenshilfe in Bocholt und Umgebung, verbringen ihren Tag aber nicht dort, sondern in einer Tagesgruppe. Das Angebot im Haus an der Dinxperloer Straße, Hauptsitz der Lebenshilfe Bocholt Wohnen gGmbH, wird von immer mehr Menschen genutzt, wie die Geschäftsführerin Gisela Stegemann erläutert: „Es gibt heute die erste Generation alter Menschen mit Behinderungen überhaupt. Zum einen, weil die Gesundheitsvorsorge besser und die Lebenserwartung höher ist.“ Zum anderen aber auch – und diese Tatsache ist immer wieder neu erschütternd –, weil nahezu eine komplette Generation von Menschen mit Behinderungen den Gräueltaten des NS-Regimes zum Opfer fiel.
Während die Mehrzahl der Wohnstätten-Bewohner tagsüber zur Werkstatt für Menschen mit Behinderung gehen, erhält der Tag auch für die „Rentner“ in der Tagesgruppe eine entsprechende Struktur. Die Tagesgruppen-Nutzer können aber den Tag ein wenig langsamer angehen, da sie nicht mehr frühmorgens „auf Zeit“ für die Werkstatt abholbereit sein müssen. Sie können in der Tagesgruppe in Ruhe frühstücken, miteinander spielen und klönen, spazieren gehen und sich auch bei Bedarf mal zurückziehen. Gisela Stegemann steht mit Herzblut hinter ihrer Tätigkeit, bei der für sie nicht nur die Zahlen, sondern vor allem die Menschen im Mittelpunkt stehen: „Menschen mit Behinderungen bedürfen unserer Fürsorge, da kann man nach Feierabend nicht einfach abschalten.“ So haben sie und die Wohnstätten-Leiterin Stephanie Gnipp immer das Handy dabei, auch nachts, um für die Mitarbeiter im Notfall immer erreichbar zu sein. „Wir sind eine familiäre Einrichtung, da möchte man einfach wissen, was geschieht“, verdeutlicht die Geschäftsführerin.
Alleine wohnen, aber nicht alleine sein
Der Firmenname Lebenshilfe Bocholt Wohnen gGmbH lässt es schon erahnen: Hauptgegenstand des Unternehmens sind drei Wohnstätten – mit insgesamt 54 Plätzen in Bocholt und der Nachbarstadt Isselburg sowie 14 Plätze in ambulanter Betreuung, sprich: in eigenen Wohnungen. An eine junge Zielgruppe richtet sich ein weiteres, erst vor wenigen Monaten gestartetes Angebot: eine Wohngemeinschaft von sieben Menschen mit Behinderung. „Die 20- bis 25-Jährigen werden intensiv ambulant betreut. Gisela Stegemann freut sich vor allem darüber, dass die WG eine gelungene Alternative zwischen stationärer Einrichtung und eigener Wohnung ist. „Hier können die jungen Erwachsenen mit Unterstützung selbständig wohnen, sind aber nicht allein – ein wichtiger Unterschied!“ In der WG im Bocholter Stadtteil Suderwick hat jedes Mitglied ein eigenes Zimmer mit Bad. Die übrigen Räume, Küche, Wohn-Essraum, Waschraum, Abstellräume, Terrasse und Garten, nutzen sie gemeinsam. Gemeinsam werden auch die Herausforderungen des Alltags erlernt bzw. gemeistert, d. h. Essen kochen, Wäsche waschen und vieles mehr, berichtet Stegemann. Hierbei werden sie vom Fachpersonal der Lebenshilfe unterstützt.
Trägerverein mit rund 300 Mitgliedern
Keimzelle der heutigen Lebenshilfe Bocholt Wohnen gGmbH ist der Trägerverein der Lebenshilfe, der sich 1964 gründete. Bis heute gestaltet der Lebenshilfe Bocholt e.V. mit seinen rund 300 Mitgliedern die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in dieser Region stark mit. So organisiert er beispielsweise einen familienunter-stützenden Dienst, bietet Reha-Sport und Schulbegleitung an, betreibt ein Café und hat Ende 2016 das „Gästehaus Grenzenlos“ eröffnet. Die 1. Vorsitzende Angelika Geßmann beschreibt: „Hier wird barrierefreier Urlaub im Münsterland möglich. Unser Selbstversorgerhaus bietet Platz für bis zu 17 Personen. Menschen mit Behinderung sind uns genauso willkommen wie Gruppen ohne Behinderung.“ Im Jahr 2009 gründete sich aus diesem ehrenamtlichen Trägerverein die gemeinnützige Gesellschaft heraus, um die vielfältigen Angebote rund ums Wohnen zu bündeln. „Die Verantwortung ist immer mehr gewachsen, nicht nur mit den inzwischen 90 hauptamtlichen Mitarbeitern sowie Auszubildenden in der Heilerziehungspflege und freiwilligen Mitarbeitern wie FSJ-ler und Bundesfreiwilligen“, so Stegemann. Hinzu kommen laut der Geschäftsführerin Pflichten wie die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen, Aufgaben rund um die Themen Rechnungslegung und Jahresabschluss, Beantragung von Fördermitteln, Kontaktpflege zu Eltern und gesetzlichen Betreuern sowie nicht zuletzt Fragen zu Haftung oder Arbeitsrecht. Letzteres ist übrigens ein Grund für die Lebenshilfe Bocholt Wohnen gGmbH, seit der Ausgründung im Jahr 2009 Mitglied des Unternehmerverbandes Soziale Dienste und Bildung zu sein.
Ein Beispiel der komplexen Herausforderungen sind für Gisela Stegemann ihr Personal und deren Arbeitszeiten. „Es gab ein Jahr, in dem neun Mitarbeiterinnen schwanger wurden – und damit sofort freigestellt werden mussten. Es hieß, kurzfristig guten Ersatz zu bekommen und nach der jeweiligen Elternzeit eventuell die Frauen, die ja eingearbeitet und motiviert waren, mit passenden familientauglichen Wochenarbeitszeiten wieder zu beschäftigen.“ Und auch das Tagesgeschäft ist herausfordernd. Bedingt durch die Werkstatttätigkeit der Bewohner seien die Dienstzeiten für die Mitarbeiter nicht immer angenehm. Die Frühdienste gehen wochentags in der Regel von 6 bis 9, die Spätdienste von 16 bis 22 Uhr, bis die Mitarbeiter der Nachtschicht eintreffen. An den Wochenenden und an den Feiertagen werden die Bewohner rund um die Uhr betreut. Die Anzahl der Teildienste, d. h. dass man sowohl morgens als auch nachmittags zum Dienst eingeteilt ist, soll möglichst gering gehalten werden. Außerdem möchten die Mitarbeiter ja auch noch Hobbies und eigene Interessen pflegen können. Deshalb hat sich bei der Lebenshilfe Bocholt ein monatlicher, so genannter „Wunschdienstplan“ bewährt, den die Gruppenleiter für ihr Team verfassen. „Uns ist es wichtig, für die Mitarbeiter immer ein offenes Ohr zu haben“, betont Stegemann. Miteinander und gemeinsam mit dem Betriebsrat seien so auch einige Betriebsvereinbarungen getroffen worden, die z.B. Zeitausgleich für Sondereinsätze beinhalten. „Zu jeder Uhrzeit kann das Telefon gehen, weil sich ein Mitarbeiter krankmelden muss; somit sind wir auf kurzfristiges Einspringen anderer Kollegen angewiesen.“
An- und Umbau
Um sich persönlich gerade für diese anspruchsvolle Personalarbeit fit zu machen, absolvierte Gisela Stegemann zusätzlich eine zweijährige, berufsbegleitende IHK-Weiterbildung zur Personalfachkauffrau. Von Haus aus ist die 51-Jährige Betriebswirtin und war zunächst in den Branchen Energiewirtschaft, Textil und Bau tätig. Nach der Elternphase stieg sie 2001 in der Verwaltung der Lebenshilfe wieder in den Job ein. Offenbar bewährte sie sich, denn Arbeitsumfang und Verantwortung stiegen sukzessive. Seit Dezember 2013 ist Gisela Stegemann die Geschäftsführerin der gGmbH und in Vollzeit tätig. Ihre neuesten Pläne drehen sich um die Erweiterung der Wohnstätte Dinxperloer Straße in Form eines Anbaus. „Wir würden gern die Tagesgruppe räumlich erweitern und zudem die letzten beiden Doppelzimmer im stationären Bereich in Einzelzimmer umwandeln.“
Mit diesen Plänen und Investitionen unterstreicht die Lebenshilfe Bocholt Wohnen gGmbH ihre Ausrichtung, für Menschen mit Behinderung immer eine Rundumversorgung anzubieten, die einen schützenden Rahmen bildet. „Nicht nur aus beruflicher, sondern auch aus eigener Erfahrung – meine Tante hat eine Behinderung – weiß ich, wie sehr die Menschen unter ihresgleichen aufblühen, weil sie nicht immer das schwächste Glied sind, sondern ihre Stärken zeigen und ausbauen können“, betont Stegemann. Deshalb muss es ihrer Ansicht nach heißen: Ja zu Integration und Inklusion, und gleichzeitig ein Ja zu geschützten Räumen. „Das Leben von Menschen mit Behinderung ist heute in der Öffentlichkeit erfreulicherweise völlig normal. Früher war das alles nicht selbstverständlich.“ Umso schöner, so das optimistische Resümee der Geschäftsführerin, dass das Verständnis für Menschen mit Handicap in der Gesellschaft gewachsen ist.
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